Zum 8. Mai
Heute jährt sich zum 77. Mal das Ende des zweiten Weltkrieges in Europa durch die bedingungslose Kapitulation der Deutschen Wehrmacht.
Angesicht des Krieges in der Ukraine ist es ein ganz anderer Tag des Gedenkens,
erstmals seit 1945 herrscht wieder ein brutaler Angriffskrieg schlimmsten Ausmaßes in Europa
Zur historischen Entwicklung des Gedenkens zeigt sich folgendes:
Während es die ersten vierzig Jahre entweder neutral als "Ende des Krieges" gesehen wurde oder von einigen älteren Mitbürgern als Niederlage empfunden worden ist, kam durch die historische Rede von Richard von Weizsäcker 1985 erstmals der Begriff "Tag der Befreiung von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft" in den Sprachgebrauch.
Diese Entwicklung entspricht auch der politischen Sozialisation meiner Generation, zu der ich ausdrücklich stehe. Auch, dass der ermordeten Juden und anderer in Konzentrationslager verschleppter und ebenfalls ermordeter Gruppen gedacht wird, ist Teil dieser Weiterentwicklung des Gedenktages.
Das mit diesem Tag verbundene Motto heißt "Nie wieder Krieg" und "Nie wieder Faschismus", wobei sich dies ursprünglich und in erster Linie auf Deutschland bezieht, konkret, dass nie wieder in Deutschland Faschismus entstehe und von Deutschland Krieg ausgehe.
Deutschland trägt somit als Staatsziel, aktiv für Frieden zu sorgen und sich für eine Friedensordnung einzusetzen.
Zur gegenwärtigen Situation in Europa:
Seit dem 24. Februar herrscht ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine.
Die Begründung Putins für den völkerrechtswidrigen Russischen Angriff, "die Ukraine von Nazis in Staat und Regierung befreien zu wollen", dazu die Vorgehensweise durch mutmaßliche Kriegsverbrechen russischer Soldaten in Butscha und weiteren Orten und die Aspekte eines offensichtlichen Vernichtungskrieges gegen die Ukraine, erkennbar an Zerstörung von Wohngebieten, Einkaufszentren, Schulen, Kindergärten, Kraftwerken, der Wasserversorgung, von Getreidespeichern, Bahninfrastruktur, allesamt nicht militärische Ziele, muss jeden Menschen mit Gerechtigkeitssinn und Gewissen zutiefst erschüttern.
Diese Realität steht absolut im Gegensatz zu allen Werten, dem Völkerrecht und der Menschlichkeit und auch zum Motto des 8. Mai "Nie wieder Krieg".
Dem Völkerrecht entsprechend hat jedes Land gegenüber einem Angriff das Recht auf Selbstverteidigung, so auch die Ukraine.
Somit ist auch die Forderung nach Waffenlieferung legitim und für die Staaten, die diesem nachkommen gemäß dem Völkerrecht rechtmäßig. Ein solches Handeln stellt keinen Kriegseintritt dar.
Für Deutschland in seiner historischen Verantwortung und die Schuld am Ausbruch und der Ausweitung des zweiten Weltkriegs, stellt der Krieg zwischen zwei Staaten der ehemaligen Sowjetunion, Russland als Aggressor und der Ukraine als angegriffenem Land, grundsätzlich ein moralisches Dilemma dar. Denn allen Menschen der ehemaligen Sowjetunion gegenüber trägt Deutschland eine tiefe moralische Schuld.
Dies gilt trotz der klaren Kausalität dieses gegenwärtigen Krieges.
Durch die Kausalität aber gilt die Solidarität den ihr Land verteidigenden Ukrainerinnen und Ukrainern als logisch moralische Konsequenz.
Eine unmittelbare Unterstützung verbietet sich aus Gründen der Vermeidung einer Eskalation ebenso wie aufgrund weiterer Konsequenzen, die zu einer Verschärfung des Krieges führen würden.
Ethisch und moralisch ist es eine fortwährend schwierige Abwägung zwischen "Nicht handeln" und "Handeln ohne aktiv einzugreifen". Aus anfänglicher Unterstützung durch Sanktionen wurden so Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet. Letzteres war bis vor kurzem ein absolutes Tabu, allerdings mit dem Ziel, der Ukraine die legitime Selbstverteidigung zu ermöglichen.
Die vorangegangenen Bemühungen, durch Verhandlungen den Krieg zu verhindern, sind leider offensichtlich gescheitert, Verhandlungsbereitschaft muss jedoch weiterhin bestehen bleiben.
Denjenigen, die einfache Beurteilungen anstreben, sei gesagt, dass es keine einfache Beurteilung eines richtigen Handelns zu geben scheint. Nichts zu tun wäre genauso falsch wie es eine direkte militärische Unterstützung sein würde. Den "Sieg der Ukraine" oder die "Niederlage Russlands" zu fordern, erscheint im Hinblick auf eine Situation nach dem Krieg nicht hilfreich, zumal die Definition beider Positionen unklar ist. So erscheint die Wiederherstellung der staatlichen Souveränität der Ukraine als Ziel vertretbar und moralisch legitim.
Einzig die Unterstützung der Ukraine in ihrem Bestreben, erfolgreich ihr Land zu verteidigen, humanitäre Hilfe zu leisten und Flüchtlinge aufzunehmen, erscheint richtig, wenn gleichzeitig die Bereitschaft für einen wirklichen Waffenstillstand und eine substantielle Verhandlungslösung für einen Frieden bestehen bleibt.
Wenn von einigen Menschen der deutschen Zivilgesellschaft gefordert wird, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden solle die Ukraine "die Waffen niederlegen", also praktisch kapitulieren, erscheint dies als zynisch und überheblich.
Schon jetzt sind Kommunalpolitiker in von der russischen Armee besetzen Gebieten verschleppt und samt Familie erschossen worden, sind wahllos Zivilisten ermordet worden und bereits über eine Million Ukrainer teils auch gegen ihren Willen nach Russland gebracht worden.
Selbst der Schutz von russischen Minderheiten in der Ukraine, welcher seitens Russlands als eines der Kriegsziele ausgegeben wurde, erscheint bei undifferenzierter Zerstörung von Städten und Stadtteilen mit mehrheitlich russischsprachiger Bevölkerung als unglaubwürdig.
Wenn die von Putin formulierten Kriegsziele erreicht und umgesetzt würden, sind ein baldiges Ende und eine Friedenslösung kaum vorstellbar. Im Gegenteil, es ist eher die Ausweitung auf weitere Länder wie Moldawien und Georgien zu befürchten. Die Initiative für einen Frieden liegt dennoch im Kreml in den Händen Putins.
Um endlich wieder "nie wieder Krieg" aussprechen zu können, muss erst einmal dieser Krieg beendet werden.
Im weitergehenden Blick müssen deswegen eine dem Krieg folgende Friedensordnung und der Wiederaufbau unmittelbare Ziele sein. Die gilt umso mehr, wenn dies gegenwärtig kaum vorstellbar scheint. Der Wunsch ist groß und international, dass in möglichst kurzer Zeit und deutlich vor dem nächsten 8. Mai, "Nie wieder Krieg" endlich wieder zur Realität werden wird.