Stimmt "die Richtung" noch? - Über den Kurs von Politik in internationalem Raum

Wenn die jüngste Vergangenheit betrachtet wird, reihen sich Ausnahmen und Katastrophen aneinander. Und wenn jedes Mal von den Regeln abgewichen wird mit der Begründung, es handele sich um eine Ausnahme, stellt sich die Frage, ob jene Regeln überhaupt noch zeitgemäß sind.
Die Ausnahme wird deutlich erkennbar in zunehmendem Maße zur Regel.Wir als gesamte Gesellschaft vergessen gerne, dass unserer spezialisierten Gesellschaft mit einer auf expansivem Wachstum ausgerichteten Ökonomie, häufig einen Denkfehler begeht. Der Denkfehler ist, zu ignorieren, dass Wachstum seine Grenzen hat [1]. Es kann nicht stetig weitergehen wie bisher. 
Einzig, ob wir die Grenzen erst in Kürze erreichen werden oder bereits im Begriff sind, diese zu überschreiten, ist unklar. Können wir diese Grenzen überhaupt erkennen?
Sie basieren auf theoretischen Berechnungen und nicht auf Erkenntnissen. 
Wäre es klug, mit dem bisherigen Tempo von Fortschritt auf einen Bereich zuzueilen, dessen genaue Lage uns unbekannt ist? Ich halte dies für ein unvertretbares Risiko. Wenn zum Beispiel ein Boot auf einen Wasserfall zutreibt und ein Ruder bricht, ist es definitiv zu spät, einen neuen Antrieb zu entwickeln.

Um es auf einer philosophischen und ethischen Ebene zu formulieren, schreibe ich:
"Wer auf Veränderungen in einer sich schnell verändernden Welt nicht reagiert,
dessen Geschichte wird niemals zu Ende geschrieben werden.
"

Mit dieser These wird eine Weisheit am Ende des Kalten Krieges [2] mit Darwins Lehre der Evolution verbunden.

Für eine Rückkehr zu agrarisch geprägten, einzelnen Gesellschaften ist die Größe der Menschheit längst zu groß. Die obere Schranke ist unbekannt und als relativ zu sehen.
Ein bloß "reines Überleben" ist weder klar definiert noch scheint es erstrebenswert. Und für ein Leben in Wohlstand aller Menschen ist, je nach Bezug auf den betrachteten Lebensstandard, der Planet zu klein [3]. Ein Wohlstandsverzicht in gewissem Rahmen scheint somit unausweichlich.

Was immer noch fehlt, sind dem heutigen Stand von Wissenschaft und Methodik angepasste Werkzeuge der Philosophie.
Wie ließe sich eine nicht genau lokalisierbar "Grenze des Wachstums", wie ein unmittelbar bevorstehender Kipppunkt bestimmen? Wenn nicht einmal die Bestimmbarkeit gegeben ist, leitet sich davon als Voraussetzung für "klugen Handelns" ab, eine zu starke Annäherung an solche Grenzen und Kipppunkte zu vermeiden

Die moderne Kosmologie und die daraus abgeleitete Weltsicht definiert, dass es nicht nur eine Geschichte des Universums gibt [4]. Der jetzige Zustand der Gegenwart basiert nicht auf einer einzigen Folge von Ereignissen nach dem Kausalitätsprinzip, sondern auf der Quantennatur  des Universums, die parallel verschiedene Geschichten zulässt. Jede zu einem Zustand des Jetzt geführte Geschichte ist mit einer Wahrscheinlichkeitsamplitude verbunden. 
Deswegen ist die Erkenntnis der genauen Zusammenhänge nur mit der "Top down"-Sichtweise in Richtung Vergangenheit möglich. Umgekehrt, mit der "Bottom up" Sichtweise gibt es zu viele Möglichkeiten für eine genaue Bestimmung von Ereignisverläufen. 

Hieraus kann gefolgert werden: Die Gegenwart, ergo die Welt ist deswegen genauso, wie sie ist, weil alles bis heute exakt so passiert ist, wie geschehen.
Allerdings gibt es auch Dinge, die anders hätten passieren können und zum gleichen Ergebnis geführt hätten. Die Zukunft ist dem gegenüber sehr schwer bis unmöglich vorhersehbar. Die "Bottom up"-Sichtweise [4] ist weder für die Beschreibung der gegenwärtigen Welt noch für Vorhersagen der Zukunft geeignet. Jede noch so kleine Abweichung kann auch zu ganz anderen Ergebnissen führen, wodurch exakte Vorhersagen aufgrund der Vielzahl an Möglichkeiten nahezu unmöglich werden.
Somit ist auch sicher: Mit der gegenwärtigen Zunahme unterschiedlicher Negativereignisse kann durch eine bloß geringfügige Veränderung des Handelns in Gesellschaft, Ökonomie und Politik keine gezielte wie notwendige, positive Veränderung erreicht werden.
Und eine frühzeitige Kurskorrektur bedarf geringerer Einschränkungen als eine spätere.

Den Eindruck von Zaghaftigkeit und Unentschlossenheit in den zukunftsdefinierenden Themen sehe ich trotz grundsätzlicher grob richtiger Orientierung in der Politik der Ampel. Einige Themen werden konsequent angegangen, andere stehen nicht einmal im Fokus.
Die Wende zu Investitionen und zur Energiewende wirkt konsequent, in den Bereichen Verkehr, Ökonomie lässt sich die Entschiedenheit im Handeln noch verbessern,
beim Thema Reform der Sozialleistungen ist überhaupt kein Ansatz von Handeln erkennbar.

Wesentliche, die Zukunft der Menschheit bestimmenden Kipppunkte stellen eine Unumkehrbarkeit von Entwicklungen dar, die Klima und Lebensräume so wesentlich verändern, dass ein Überleben nur für eine extrem kleine Gruppe in bestimmten Zonen oder überhaupt nicht mehr möglich werden lässt. Dass dies auch für die meisten Tier- und Pflanzenarten gilt, ist offensichtlich.
Dies gilt es zu verhindern. Die Kosten dafür sind letztlich irrelevant, denn Geld, Sachwerte und Gold verlören andernfalls stark inflationär an Wert.

Wie bereits im Februar von mir beschrieben sind auch die Klimaziele nur durch gleichzeitige Sozialreformen hin zu einer "Sozialen Gerechtigkeit" erreicht werden. Unter der Annahme einer bloßen Freiwilligkeit des Handelns ist eine maximale Quote klimaneutralen Agierens in sämtlichen Bereichen von kaum mehr als 50% zu erwarten. Dies reicht nicht aus!
Und es muss vor allem primär europaweit und mittelfristig weltweit vorangebracht werden.

An der versprochenen "Transformation der Wirtschaft" zur Nachhaltigkeit sind offensichtlich keine relevante Bemühungen und Anstrengungen auch nur irgendeines Staates erkennbar.
Ob es sich um eine wirkliche "Transformation der Ökonomie" zur Nachhaltigkeit handelt, bezweifele ich. Der Markt kann bloß die Transformation einzelner Arbeits- und Produktionsprozesse erreichen, solange die weltweite Ökonomie auf "expansivem Wachstum" basiert. 
"Der Markt" (im Sinne der globalen Wirtschaft) kann dies weltweit gar nicht selbst regeln, solange eine Grundregel das Wachstum ist. Und Freiwilligkeit wäre in umso größerem Maße mit Wettbewerbsnachteilen verbunden wie dadurch Klimaneutralität in eigener Vorleistung erreicht werden könnte.

Die Verringerung der "Schere zwischen Arm und Reich" ist hierzu ebenfalls notwendig. Hierdurch erreichbar wären die Mitnahme einer für dessen Erfolg unmittelbar wichtigen Mehrheit der Zivilgesellschaft einerseits und die Abnahme von Nachhaltigkeits -, Klima- und Umweltzielen entgegenstehenden Neigungen zu maximalem Profit und gleichzeitiger Steuervermeidung.
Die Angleichungen müssen in erster Linie auf innerstaatlicher Ebene, darüber hinaus auch in globalem Rahmen umgesetzt werden.

Ziel muss auch die Beendigung sämtlicher Kriege weltweit sein.
Die hier gebundenen Mittel werden an anderer Stelle für die weltweiten Ziele gebraucht.
Es muss mittelfristig eine globale Friedensordnung mit den Zielen von Rüstungsbegrenzung und Abrüstung erreicht werden. 
Eine wie beschriebene Veränderung von Philosophie in den Zivilgesellschaften der Welt und der Politik kann und wird langfristig zu einer nachhaltigen Verbesserung der Welt führen.
Angesicht der Kriegssituation in der Ukraine folgt die Konsequenz , dass auch Sicherheitsgarantien geschaffen werden müssen, die die Souveränität jedes Staates zuverlässig gewährleisten.

Zitate:
[1]   Club of Rome: Die Grenzen des Wachstums, 1972
[2]   Gennadi Gerassimow, der damalige Sprecher Gorbatschows bezüglich des oft anders
        übersetzten und verkürzten Ausspruchs von Gorbatschow: „Those who are late will be
        punished by life itself“; Ulla Plog: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ In:
        Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. Oktober 2004.
[3]    Quelle: WWF Deutschland 2016, Global Footprint Network, Stand 2016.
[4]   Stephen Hawking & Leonhard Mlodinow: Der Grosse Entwurf, Rowohlt Verlag GmbH,
        Reinbek bei Hamburg