Die Klimabilanz der Stadt Braunschweig [2]

Am 28. September diesen Jahres ist vom Ausschuss für Mobilität, Tiefbau und Auftragsvergabe der Stadt Braunschweig die Vorzugsvariante des jetzigen Bahnübergangs Grünewaldstraße beschlossen worden. Statt des Erhalts einer niveaugleichen Kreuzung in Form eines modernisierten beschranken Übergangs mit erneuerter Sicherungstechnik fiel der Beschluss auf eine Unterführung.
Dies stellt aus Sicht von Ökologie, Biodiversität, Grundwasserschutz, Bewahrung des anwohnerseits sehr geschätzten örtlichen Stadtbildes, bezüglich der Gesamtkosten eine wesentlich teurere und vor allem aus Klimaschutzgründen die schlechtere Lösung dar.

Diesem Beschluss entgegen standen die Beschlüsse beider betroffenen Stadtbezirksräte, das Votum der Einwohner mit einer Zustimmung von rund 90% für den Erhalt eines ebenerdigen Übergangs, das Argument niedrigerer Gesamtkosten, der Erhalt von wenigstens 34 alten dickstämmigen Bäumen sowie die Voten von betroffenen Schulen, Kleingartenvereinen und Anwohnern.
Die Studie zur Häufigkeit zu Fledermaus- und Vogelarten entlang des Ringgleis-Radwegs weist im Bereich des Übergangs einen Hotspot im untersuchten Bereich des Stadtgebietes, also ein Maximum auch seltener Arten auf. [1] Angefertigt ist diese von Instituten der TU, so auch des Instituts für Geoökologie und Instituten der Biologie. Vorgestellt wurde sie auf einer Forumsveranstaltung von Dr. Michael Strohbach (TU Braunschweig). Dieses außergewöhnlich hohe Maß an Biodiversität im Stadtbereich stellt allein schon ein gewichtiges Argument dar.

Einer eigenen Berechnung nach hätte die klimaausgleichende Ersatzmaßnahme zur Kompensation des Baumbestandes und der Produktion des Zements für den Beton der Unterführung die Entsiegelung und Aufforstung einer Fläche von 46 ha erfordert. [2] 
Das Argument einiger Ratsmitglieder "die paar Bäume" wären im Vergleich zu den Vorteilen im Nahverkehr nicht von Bedeutung. Die der Gegenargumentation zugrunde liegende Annahme basiert auf einem überwiegenden Umstieg eines Großteils des automobilen Verkehrs auf Fahrradverkehr und öffentlichen Nahverkehr sowie der Zuwachs des schienengebundenen öffentlichen Nahverkehrs um das vierfache aus, was letztlich wiederum ein Wachstum voraussetzt.
Diese Annahmen sind weder belegt noch wahrscheinlich. 

Wird dies in der Klimabilanz der Stadt berücksichtigt?

Weiterhin befindet sich auf dem Gebiet der Stadt Braunschweig der als "international" [3] eingestufte Verkehrsflughafen Braunschweig-Wolfsburg, von dem Sport- und Segelflugbetrieb ebenso wie Businessflugbetrieb mit bis zu mittelgroßen Privatjets und gelegentliche Charterflüge ins europäische Ausland stattfinden.
Weiterhin dient der Flughafen der Forschung und stellt auch in der Sommerhälfte die Basis für Löschflugzeuge dar. [4]
Als kritisch zu werten sind hierbei besonders der Betrieb mit kleinen bis mittelgroßen Privatjets, die eine äußerst ungünstige Klimabilanz haben. Dass aufgrund der geringen Größe des Flughafens häufig auch Leerflüge zur Bereitstellung von Flugzeugen notwendig sind, wirkt sich zusätzlich negativ auf die CO2-Bilanz aus. 

Die Frage hierbei ist, inwieweit der Betrieb des Flughafen in seiner CO2-Bilanz in der CO2-Gesamtbilanz der Stadt berücksichtigt wird

Weiterhin gilt dies für die Berücksichtigung von CO2-Emissionen der das Stadtgebiet schneidenden Autobahnen, Bundesstraßen, Schifffahrtswegen und Bahnstrecken.
Es mag ja sein, dass diese unter Berücksichtigung geltenden Rechts nicht in die Bilanzierung einfließen, aber wo sollen diese denn dann berücksichtigt werden, ganz abgesehen vom Aufwand, den der dann möglicherweise zuständige Bund hätte, sämtliche Teilstücke überregionalen Verkehrs zu erfassen und bilanzieren. Dem Klima ist dies egal und bei Wind wären die Emissionen ohnehin auch im Stadtgebiet vorhanden.

Die Klimaziele der Stadt Braunschweig sind unter anderem im Integrierten Klimaschutzkonzept IKSK 2.0 [5] festgehalten. Braunschweig hat sehr anspruchsvolle Klimaziele formuliert: Die Stadt soll noch vor Niedersachsen und dem Bund 2030 bereits die Klimaneutralität erreichen.
Und was hat dies mit dem Bahnübergang zu tun?
Es seien doch "bloß 34 Bäume" mit einer CO2-Bindung von 100 t zuzüglich zu erwartender CO2-Emissionen von 630 t für die Zement-Produktion der Unterführung. (s.o.) 

Zugleich zeigt der kürzlich veröffentlichte Erste Kompaktbericht zum Klimaschutzkonzept [6] eine Erfüllungsquote bei der Installation von Photovoltaik von 45 %.
Verständlichkeit und Transparenz des Berichtes sind schwach umgesetzt, der genannte Wert ist leider nicht explizit ausgewiesen, sondern muss aus der Tabelle ermittelt werden.
Die Ergebnisverfolgung ist somit schwierig, eine Erarbeitung von Korrekturmaßnahmen nicht einfach.


Die augenblickliche Realität der Welt zeigt, dass das Jahr 2023 die mit Abstand bisher höchste Durchschnittstemperatur haben wird. Dies wird durch Daten der Dienste von Copernicus [7],
die im Rahmen eines Erdbeobachtungsprogramms der ESA für die EU sammeln, belegt. Enthalten sind EU Wetter- und Klimadaten.
Das US-amerikanische Info-Portal Climate Central hat jüngst eine Analyse veröffentlicht, nach der November 2022 bis Oktober 2023 die wärmsten zwölf aufeinander folgenden Monate seit 125.000 Jahren gewesen sind. Diese zwölf Monate lagen demnach 1,3 Grad über dem vorindustriellen Niveau. [8] 
Unter Berücksichtigung der in der Analyse noch fehlenden Daten des November 2023 wäre dadurch das beschlossene 1,5°-Ziel der Pariser Klimaschutzkonferenz von 2015 [9] schon erreicht oder überschritten. Die weltweiten Folgen sind schon jetzt dramatisch.

Und wo fängt Klimaschutz an?
Wie sind Maßnahmen des Klimaschutzes sinnvoll und richtig zu bilanzieren? 
Wem nützen solche Bilanzierungsverschiebungen von Kommunen zu Land und Bund?

Die Summe aller Kommunen sind doch Bund und Länder.
Die Summe aller Einzelnen ist doch der Staat.

Anlagen:
[1]    Braunschweiger Zeitung: Wie viele Vögel und Fledermäuse leben an Braunschweigs
        Ringgleis? Studie zu Biodiversität; Institut für Geoökologie, TU Braunschweig; 06.04.2023
[2]   eigene Berechnung CO2-Bindung Baumbestand und CO2-Verbrauch Baumaßnahmen
        insbesondere zur Zementherstellung für den Betonbedarf
[3]    www.cleverjourney.com: Definition "Was ist ein internationaler Flughafen?"
[4]   Flughafen Braunschweig-Wolfsburg: Löschflugzeuge am Flughafen Braunschweig-
        Wolfsburg; 14.08.2023
[5]   Stadt Braunschweig: Integrierten Klimaschutzkonzeptes 2.0 (IKSK 2.0), Beschluss des
        Rates vom 27.09.2022
[6]   Stadt Braunschweig Der Oberbürgermeister: Erster Kompaktbericht zum IKSK 2.0
       23-21992 Mitteilung öffentlich 23.10.2023
[7]    wikipedia.de: Copernicus (Erdbeobachtungsprogramm)
[8]    mdr.de/wissen: EU-Klimawandel-Forscher sehen wärmstes Jahr seit 125.000 Jahren
        Datum 08. November 2023, 11:55 Uhr
[9]    Teilnehmende Nationen: Pariser Übereinkommen vom 12. Dezember 2015

This article was updated on Dezember 8, 2023