Über Verkehr (Teil 2)

Die Bahn ist heute vielgescholten und von vielen als unpünktlich, technisch fehleranfällig und vom Angebot her als unzureichend wahrgenommen. Dadurch fahren viel Bürgerinnen/Bürger lieber individuell auf Mittel- und Langstrecke. Ist die Bahn wirklich so schlecht, wie ihr Ruf? Falls ja, woran liegt es? Falls nein, warum besteht dieses Image? 

Schaue ich mal in die Invalidenstraße 44 in Berlin. Diese Adresse mag nicht jeder und jedem bekannt sein. Die Auflösung, wessen Anschrift dies wohl ist, erfolgt  später. Dort erfolgen die entscheidenden Weichenstellungen für die Deutsche Bahn und für den Schienenverkehr.

Beginnend mit der deutschen Wiedervereinigung 1990 begannen Überlegungen, die beiden damaligen Staatsbahnen "Deutsche Bundesbahn" und "Deutsche Reichsbahn" zusammenzuführen. Die Idee durch mehr Wettbewerb eine Effizienzsteigerung zu erreichen und dadurch den Staatshaushalt zu entlasten, führte zur Privatisierung mit der Perspektive eines Börsenganges, die noch einmal Geld für den Eigner, die Bundesrepublik Deutschland,  bringen sollte.

Was waren die Folgen der Gründung der Deutschen Bahn 1994?
1990 waren auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, dem Gebiet der Deutschen Reichsbahn gemessen am europäischen Durchschnitt überdurchschnittlich viele Strecken und Bahnanschlüsse vorhanden. Die Strecken waren oftmals nicht in einem guten Zustand, sondern abgewirtschaftet und marode. Der Deutschen Reichsbahn fehlten häufig und synchron mit dem Staat DDR die finanziellen Mittel und Devisen, um die Mängel zu beseitigen. Fahrzeugseitig waren bei der Deutschen Reichsbahn viele gute, da robuste Loks und auch viele Reisezugwagen vorhanden.
Das Verkehrsangebot im Reiseverkehr war durch Planwirtschaft geprägt und in Folge überdurchschnittlich gut. Die Fahrpreise waren durch Subventionen sehr niedrig, vielen Menschen wurde so ein guter Verkehr für den Weg zum Arbeitsplatz geboten, dennoch reichte das Platzangebot oft nicht aus. Der Güterverkehr war ähnlich geprägt, auch hier war durch staatliche Planung ein voll ausreichender Bestand an Fahrzeugen und Wagen vorhanden. Die Priorisierung des Güterverkehrs auf der Schiene war staatlich gewollt. 
Die Deutsche Bundesbahn war durch fortschreitende Rationalisierung und Streckenstilllegungen geprägt. Priorität hatten Hochgeschwindigkeitszüge im Schienenfernverkehr, hierdurch wurden die ICE-Züge permanent weiterentwickelt und deren Anzahl permanent erhöht. Das Angebot in der Fläche war rückläufig, da oft nicht betrieblich wirtschaftlich. Gewollt war der Reisende, der per lokalem öffentlichem Nahverkehr oder Auto zum Bahnhof kommt und dann nur ICE fährt.
Nun wurden diese beiden unterschiedlichen Bahnen zusammengeführt, was dazu geführt hat, dass die Unternehmensphilosophie der Deutschen Bundesbahn und die Fahrzeuge, Infrastruktur und Personal der Deutschen Reichsbahn übernommen wurden. Das hat auf dem Gebiet der ehemaligen Deutschen Reichsbahn zu vielen Streckenstilllegungen und Personalabbau geführt. Auch auf dem Gebiet der ehemaligen Deutschen Bundesbahn gab es weitere Streckenstillegungen und Personalabbau.
Das Motto war "Kosten sparen" und die Deutsche Bahn AG für den Verkauf an der Börse fit zu machen. Dass hier das Interesse ein profitables, gewinnbringendes Unternehmen zu schaffen mit der Vorgabe mit Hilfe von Infrastruktur, Fahrzeugen und Personal die Grundbedürfnisse von Personenverkehr über Langstrecken und in der Fläche sicherzustellen unvereinbar ist, bedarf keiner weiteren Erläuterung.

Dass Personalmangel und enge Dienstpläne ohne Zeitpuffer bei Übergängen zwischen einzelnen Diensten mittelfristig zu einer Zunahme von Verspätungen führen würden, war und ist weiterhin vorhersehbar. Für die zusätzlich auf weiteren Einsparungen resultierende Verschlechterung des Verkehrsangebots gilt gleiches. Auch wenn dies nicht als unmittelbar vorsätzlich gesehen werden kann, so nehme ich dies als für das Ziel eines baldigen Börsenganges als billigend in Kauf genommen, und werte es als grob fahrlässige Veruntreuung von Bundeseigentum.
So wird die Bahn weder attraktiv für Investoren noch kann sie der Wahrnehmung ihrer aufgetragenen Transportaufgaben wahrnehmen. Dies alles ist Zeugnis einer über Jahrzehnte verfehlten Verkehrspolitik.

Heute gibt es Angesicht der Herausforderungen, die Klimaziele einzuhalten, einen großen Reformbedarf. Die notwendigen Investitionen hätten bei einer besseren Aufstellung der Deutschen Bahn durch eine Reform, die ihren Namen verdient hätte, viel niedriger ausfallen können. Nun sind diese Investitionen notwendig und müssen gestartet werden.

Die Züge müssen technisch auf den neuesten Stand der Technik gebracht werden. Dies gilt für verschleißbedingte Rekonstruktion genauso wie für die Ertüchtigung der Züge für eine größere Kundenakzeptanz und eine pandemieresistente Innenraumüberarbeitung

Die Strecken müssen instandgesetzt werden und hinsichtlich Winterfestigkeit wieder auf den Stand vor Ausbau der Weichenheizungen und die Streckenumgebung bezüglich Sturmfestigkeit durch "sturmresistenten Bewuchs", sei es durch Rückschnitt oder geeignete umweltgerechte, klimawandelresistente Gestaltung der Bahnumgebung, wieder alltagstauglich werden.

Durch Einführung der "fairen Grundeinkommens" wird auch die Gestaltung attraktiverer Haustarife möglich, durch Kostensenkung wird eine Personalaufstockung zur Verbesserung des Verkehrsangebotes und zur Vorhaltung einer "Personal-Einsatzreserve" möglich mit der ein Verkehr auch unter heutigen Realbedingungen möglich.

Mit diesem Maßnahmenbündel kann kurz- bis mittelfristig die Deutsche Bahn für ihre Aufgabe im Rahmen des Klimaschutzes besser aufgestellt werden. Allein der direkte Vergleich in [1] zwischen Eisenbahn/Fernverkehr, Eisenbahn/Nahverkehr, Auto und Flugzeug, Inland stellt dar.
In Absteigender Tendenz der Emissionen: Am höchsten ist das Flugzeug im Inlandsdienst mit 230, gefolgt von PKW mit 147,der Eisenbahn im Nahverkehr mit 57 und im Fernverkehr mit 32 g/Pkm. Dargestellt sind die Treibhausgasemissionen als CO2-Äquivalent in g/Pkm (Gramm pro Personenkilometer).

Ernsthafter Klimaschutz beginnt mit der Priorisierung der diesbezüglich günstigsten Verkehrsmittel: Dies ist im gezeigten Vergleich die Bahn!


Die Adresse Invalidenstraße 44 in Berlin gehört übrigens nicht zur Unternehmensführung der Deutschen Bahn sondern zum Ministerium für Infrastruktur, Digitales und Verkehr.

[wird fortgesetzt]

Quellen:
[1]  TREMOD 6.03, Umweltbundesamt, 01/2020