Wohlstand ohne Wachstum - Argumente

Motivation zu meinen Ausführungen ist die Ausstrahlung von 
Wohlstand ohne Wachstum - zur gleichnamigen WISO-Reportage im ZDF
im März 2024.

Die titelgebende Frage ist eine der, wenn nicht die entscheidende Frage der Gegenwart und aus meiner Sicht die Frage, die die Zukunft der Menschheit entscheiden könnte.

In der Sendung "Wohlstand ohne Wachstum - geht das?" [1] argumentiert Ulrike Herrmann, Journalistin und Publizistin [2], damit, dass man in einer endlichen Welt nicht unendlich wachsen könne. „Deutschland tut im Moment so, als könne man drei Planeten verbrauchen".
„Der Kapitalismus sei mittlerweile das Problem", folgert sie weiter. 
„Extreme Zeiten brauchen radikale Lösungen" und „um die Klimakrise in den Griff zu bekommen, muss unsere Wirtschaftsleistung drastisch schrumpfen" sind ihre Schlussfolgerungen. 
„Besonders energieintensive Industriebranchen müssen schrumpfen, so dass Autos, Flugzeuge die Chemie-Industrie, die Stahlindustrie, aber auch der Neubau von Wohnungen problematisch seien.“ [1]  

Die Gegenargumentation führt Prof. Lars Feld, Professor für Wirtschaftspolitik an der Uni Freiburg, Direktor des Walter-Eugen-Instituts und in verschiedenen Funktionen als Berater der deutschen Wirtschaft aktiv (Berater des Bundesfinanzministers): "Der Rest der Welt würde sich Deutschland anschauen und sagen: jetzt sind die völlig verrückt geworden. Denn die Emissionen, die wir insgesamt tätigen sind 2% der gesamten Welt-Emissionen².“ Wir „können von heute auf morgen die gesamte deutsche Wirtschaft abschalten“ ohne einen erkennbaren Effekt für den Klimaschutz.
Ihm nach „müsste man es ja weltweit diskutieren", er wisse aber nicht, „wie das denn passieren sollte“. [1] 

² Anmerkung
Die Annahme, Deutschland trage nur für 2 % der weltweiten CO2-Emissionen Verantwortung, ist deswegen schon falsch, weil sich die Wertschöpfungsketten global erstrecken und auch der Verbrauch importierter Güter hinsichtlich Emissionen und Umwelteinwirkung berücksichtigt werden muss.

Argumentiert werde: „Dabei mahnten schon Anfang der 1970er Jahre Wissenschaftler um Dennis Meadows, dass etwas passieren müsse und zwar weltweit [3].In ihrem Bericht „Die Grenzen des Wachstums" stellt der Club of Rome genaue Berechnungen an, welchen Einfluss das exponentielle Wachstum auf den Planeten hat. 
Ein "immer weiter so" führe in eine Katastrophe. [1]
52 Jahre später ist die Frage noch immer die gleiche.“ 

Weiter wird in der Sendung ausgeführt: „Darf unsere Wirtschaft immer weiter wachsen?
„klappt nicht sagen die Vertreter der Degrowth oder auch "Post-Wachstums"-Bewegung. Die ganze Wirtschaft muss schrumpfen, die Energie-Schleudern sollen komplett weg, auf nicht notwendige Luxusgüter müsse verzichtet werden.“ [1] 
„Energie-intensive Branchen wie Luftfahrt, Automobilindustrie oder Gebäude-Neubauten sollen eingedampft werden. Ausgebaut werden solle hingegen, was eine nachhaltige Zukunft sichert: Erneuerbare, ÖPNV, Energetische Sanierung. Und Arbeitsplätze sollen dabei garantiert werden. Das soll der Weg sein: weg vom Wachstumsglauben!“ [1] 

Die Perspektive des Inhaltes der Sendung erweiternd, führe ich den Blick zusätzlich auf Thesen aus der Buchveröffentlichung von Tim Jackson, einem britischen Naturwissenschaftler und Professor of Sustainable Development am Centre for Environment and Sustainability an der University of Surrey.

Tim Jackson erörtert die zentralen Kenngrößen Bruttoinlandsprodukt (BIP), Pro-Kopf-BIP, Bevölkerungswachstum, Ressourcenknappheit und führt Gerechtigkeitserwägungen aus. 
Er spricht vom „Zeitalter der Verantwortungslosigkeit“ und erläutert den Schuldenbegriff. Er führt die Unterschiede zwischen Verbraucherschulden, Staatsschulden und Auslandsschulden aus. [4] 
Er erarbeitet zwei Gruppen von Industrienationen heraus: die liberalen Marktwirtschaften und die koordinierten Marktwirtschaften. Von ihm kommt Widerspruch zur These, die Finanzkrise 2008 hatte ihre Hauptursache in sogenannten toxischen Krediten und Kreditprodukten. Ursache waren seiner Ansicht nach alle Maßnahmen, die das Wachstum der Wirtschaft stimulieren sollten. Vor allem sei dies der Ausbau der Schulden nach den Grundsätzen des keynesianischen Monetarismus und ohne Berücksichtigung der Begrenztheit der materiellen Welt in ökologischer Hinsicht. [4] 

Mit dem Ziel, „Wohlstand neu definieren“ möchte Jackson eine Definition für Wohlstand finden und dessen Zusammenhang mit Glück. Dies orientiert sich ihm nach vor allem an den Thesen des indischen Wirtschaftswissenschaftlers und Philosophen Amartya Sen in seinem Essay „Lebensstandard“ von 1984 mit den Elementen Fülle, Nutzen und Verwirklichungschancen. Er untersucht den Zusammenhang zwischen Wohlstand und Einkommen und kommt zum Ergebnis, dass zwischen beiden ein Grenznutzenverhältnis bestehe. [4] 

Anmerkung:
Eine Analyse des Zusammenhangs zwischen Wohlstand und Einkommen verfolgen auch Robert & Edward Skidelsky „Wieviel ist genug?".[5] Ihnen nach hat sich bereits in den 1970er Jahren das Wachstum von Glück/Wohlstand vom Wachstum des Einkommens entkoppelt, d. h. von da an führte mehr Einkommen nicht mehr zu mehr Zufriedenheit

„Dem „Mythos der Entkopplung“ widmet sich Jackson ebenfalls und stellt dar, dass dieser {...} Lösungsansatz in Anbetracht der Entwicklung des Bevölkerungswachstums und des Einkommens/Konsums anhand der Ehrlich-Gleichung weder in relativer Hinsicht noch in absoluter Hinsicht zu einer Verringerung der Umweltauswirkungen führen kann. Der Annahme, dass sich Wirtschaftswachstum und Klimaschutz mühelos miteinander vereinbaren lassen, tritt Jackson entgegen und widerlegt damit den Ansatz von Nicholas Stern im Stern-Report. Nach Auffassung des Autors gibt es kein Szenario, das eine stetig wachsende Bevölkerung mit wachsendem Einkommen/Konsum mit ökologischer Nachhaltigkeit verbinden kann.“ [6] 

Dem Element von Einkommen und Konsum geht Jackson nachfolgend unter dem Titel „Das stahlharte Gehäuse des Konsumismus“ auf die Spur. „Er identifiziert es als Motor des Wachstums und untersucht es in den verschiedenen auftretenden Formen des Kapitalismus. Effekte wie der Rebound-Effekt oder der Backfire-Effekt belegen nach Auffassung des Autors auch hier, dass Innovation zu keiner automatischen Entkopplung führt. {...}“ [6] 

Unter der Überschrift „Weg in ein nachhaltiges Wirtschaftssystem“ werden konkrete Vorschläge, wie eine Wirtschaftsordnung mit der Prämisse „Wohlstand ohne Wachstum“ aussehen könnte, ausgeführt. „Der grundlegende Ansatz besteht im Setzen von Grenzen, der Reparatur des bestehenden Wirtschaftsmodells und der Veränderung der gesellschaftlichen Logik vor allem im Bereich des Konsumismus. [6] 

„Einen Blick in die Zukunft gewährt Jackson mit dem Kapitel „Bleibender Wohlstand“. Dabei widerspricht er wiederholt der Annahme, dass ein effizienter Kapitalismus das Klima stabilisieren könne und eine Lösung für die Knappheit der Ressourcen darstelle.“ [6]  

Eine weitergehende Diskussion und die konkrete Ausgestaltung von Lösungsansätzen für eine nachhaltige Gesellschaft und Ökonomie werde ich in weiteren Posts ausführen.

Verweise, Quellen und Links:
[1]     ZDF / WISO: Wohlstand ohne Wachstum - geht das? Sendung vom 25.03.2024 - 19:25
[2]     Ulrike Herrmann: Das Ende des Kapitalismus: Warum Wachstum und Klimaschutz nicht
           vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022
[3]     Donella H. Meadows, Dennis L. Meadows, Jorgen Randers, William W. Behrens III:
           The Limits to Growth
[4]     Tim Jackson: Wohlstand ohne Wachstum – das Update: Grundlagen für eine
           zukunftsfähige Wirtschaft. 2. Auflage, 2017
[5]     Robert & Edward Skidelsky: Wieviel ist genug?, Verlag Antje Kunstmann 2013
[6]     wikipedia.de: Wohlstand ohne Wachstum zu Tim Jackson: Wohlstand ohne Wachstum –
           das Update: Grundlagen für eine zukunftsfähige Wirtschaft. 2. Auflage. oekom, 2017

This article was updated on Juni 8, 2024